Was ist die Erklärung von Graz? Anfang der 70er Jahre begann eine Gruppe von GrazerInnen mit Selbstbesteuerung für die Dritte Welt. Aus dieser Initiative entwickelte sich die Erklärung von Graz (EvG), ein Verein für solidarische Entwicklung mit den Ländern des Südens
Die Geschichte der Erklärung von Graz ist eng verbunden mit dem Namen von Peter Pritz, Mitbegründer der Grünen in Graz, damals Leiter des Afro-Asiatischen Instituts.
Peter Pritz sammelte eine Gruppe von Menschen um sich, mit denen er begann, eine politische Initiative zu gründen, zunächst unter dem Schlagwort „Kritischer Konsum“. Der Grundgedanke, von dem wir damals ausgingen, war dass unsere Lebensweise mit der ihr eigenen Tendenz zu gedankenlosem Verbrauch und Konsum und die Armut und Ausbeutung jener Länder der dritten Welt, die man damals herablassend und euphemistisch als „Entwicklungsländer“ bezeichnete, zwei Seiten einer Medaille waren, Folge einer globalen Unrechtsordnung. Die Lösung dieses Problems konnte deshalb nicht einfach Konsumverzicht sein. Es müsse vielmehr in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein dafür erzeugt werden, dass die neokoloniale Form der Vereinnahmung der nicht industrialisierten rohstoffproduzierenden Länder der dritten Welt ihre tödliche Verschuldung durch Kredite unter der beschönigenden Formel „trade, not aid“ eine Form der Ausbeutung darstellte, die elementare Prinzipien sozialer Gerechtigkeit verletzte. Und das Geld, das wir durch eine bescheidene Selbstbesteuerung sammelten, sollte gezielt für soziale und wirtschaftliche Projekte eingesetzt werden, die Menschen in der dritten Welt, an einigen Orten jedenfalls, in Stand setzen sollten, autonom und selbstbestimmend über ihre Länder und Ressourcen zu verfügen.
Beispielgebend für unser Vorhaben war eine erfolgreiche entwicklungspolitische Initiative in der Schweiz, die „Erklärung von ‚Bern“. So ist die „Erklärung von Graz“ nach diesem Vorbild benannt, und die neue Devise war solidarische Entwicklung, die für den 1976 neu gegründeten Verein ebenfalls namensgebend wurde. Die Erklärung von Graz war – und blieb für viele Jahre – eine relativ kleine Gruppe, freilich mit einer erstaunlichen Zählebigkeit und Lebendigkeit. Durch Kooperation mit den entwicklungspolitischen Einrichtungen von Land und Bund gelang es, eine Reihe nachhaltig wirksamer Projekte in verschiedenen Regionen der Welt zu realisieren, wobei immer darauf geachtet wurde, dass auch Menschen im Inland in schwierigen Lebenssituationen unterstützt wurden. Im Laufe der Jahre bildeten sich erkennbare Schwerpunkte der Projektarbeit heraus, etwa ökologische Projekte und Frauenprojekte. Wir legten Wert darauf, dass die durch Projekte unterstützten Personen und Gruppen in die Lage gesetzt wurden, in ihrer Umgebung selbst politische Verantwortung zu übernehmen und die Ziele solidarischer Entwicklungsarbeit zu verfolgen.
In den letzten Jahren zeichnete sich ab, dass die verschärfte Lage einer durch neoliberale Prinzipien duchgesetzten globalen kapitalistischen Wirtschaftsordnung neuen Handlungsbedarf erzeugt. Es erweist sich als notwendig, diese Situation und ihre Konsequenzen theoretisch zu durchleuchten und neue Strategien entwicklungspolitischer Arbeit zu entwickeln. Deshalb steht das Bedenken unserer Geschichte nach 25 Jahren im Zeichen einer Transformation, die eben erst begonnen hat und der Erklärung von Graz als Verein für solidarische Entwicklung für die Zukunft eine programmatische Neuorientierung geben kann und hoffentlich auch geben wird. Eine Devise dieser Neuorientierung ist Vernetzung. Es sind in letzter Zeit politische Basisbewegungen von internationaler Reichweite entstanden, die gezielt die Segmente des weltwirtschaftlichen Systems zum Gegenstand öffentlicher Kritik machen, die in besonders offensichtlicher Weise das massive ökonomische Ungleichgewicht für die Profitinteressen der Zentren transnationaler Wirtschaftsakteure nutzen, etwa das internationale monetäre System, das Kreditwesen und die Spekulationsgewinne des Finanzkapitals. Mit diesen Bewegungen, etwa Attac und Raison d’agir, teilen wir die Überzeugung, dass vor allem konsequente Öffentlichkeitsarbeit notwendig ist, um gegen die Diktate des Neoliberalismus den Stimmen der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit Gehör zu verschaffen. Dazu wird es wichtig sein, Bündnisse zu schließen, gemeinsam zu agieren, wo immer es sinnvoll und möglich ist.
Auch die Projektarbeit in den Ländern Mittelamerikas und Afrikas sollte in Zukunft mehr im Zeichen der Vernetzung politischer Kräfte hierzulande und in den Ländern der Peripherie stehen. Eine Strategie der Vernetzung an den Rändern des Systems wird sich vielleicht als Mittel erweisen, die Hegemonie ökonomischer Machtzentren zu durchbrechen. Die Erklärung von Graz wird nicht zur revolutionären Massenbewegung mutieren. Sie wird dort weitermachen, wo sie sich jetzt befindet – an der Basis, aber mit neuen Mitteln versuchen mehr zu bewirken.
Elisabeth List - Obfrau der EvG von 2007-2016